Fachforum Gesundheit beim Tagesspiegel zu Antimikrobiellen Resistenzen
Expertinnen und Experten aus Forschung, Politik und Wirtschaft an einem Tisch
Berlin, 23.11.2023 – „Die Resistenzentwicklung bei Antibiotika ist ein evolutionärer Prozess und daher grundsätzlich unvermeidbar, aber ihre Treiber sind unkritische Anwendung, fehlende Hygiene, Dosierungsprobleme und die Verunreinigung der Umwelt“ sagte Prof. Christoph Lübbert, Zentrum für Infektionsmedizin, am Universitätsklinikum Leipzig beim Fachforum Gesundheit des Tagesspiegel. Anlass war die weltweite Woche gegen Antibiotikaresistenzen. Prof. Dennis Nurjadi, Klinik für Infektiologie und Mikrobiologie, Universität zu Lübeck und Martina Stamm-Fibich MdB, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit, SPD-Bundestagsfraktion waren sich einig, dass die in diesem Jahr verabschiedete Antibiotikaresistenzstrategie (DART 2030) viele gute Ansätze habe, aber im globalen Kontext gesehen werden müsse. Stamm-Fibich kritisierte, dass der One-Health Ansatz gestärkt und DART konkreter hätte ausgestaltet werden müssen. Dr. Georg Kippels MdB, Obmann Gesundheitsausschuss, CDU-Bundestagsfraktion vermisste die Marktanreize für Forschung und Pharmaunternehmen zur Herstellung neuer Wirkstoffe. Dieser Aspekt sei von der Bundesregierung in der Diskussion bisher nicht aufgenommen worden. Da Antibiotika möglichst wenig eingesetzt werden sollen, muss ein finanzieller Anreiz für ihre Entwicklung trotz möglichst weitgehender Nicht-Anwendung bleiben. Sibyll Escher, Vertreterin des Deutschen Netzwerks gegen Antimikrobielle Resistenzen (DNAMR) und Director Medical Affairs Infectious Disease bei dem Pharmaunternehmen MSD wies daraufhin, dass es nach derzeitigen Analysen der WHO nur 77 antibakterielle Wirkstoffe oder Kombinationen in der Entwicklung gebe. Im Vergleich: für die Bekämpfung von Krebs befinden sich derzeit an die 10.000 Wirkstoffe in der klinischen Entwicklungs-Pipeline. In den Intensivstationen der Krankenhäuser gäbe es nur noch wenige Reserveantibiotika, die gegen Resistenzen eingesetzt werden können. Zahlreiche Maßnahmen, die unter dem Stichwort Antibiotic Stewardship umgesetzt würden, seien wichtig, aber auch die Entwicklung neuer Medikamente müsse vorangetrieben werden. Dafür sei zum einem öffentliche Forschungsförderung, zum anderen Marktanreize für Pharmaunternehmen nötig. Rupert Stüwe MdB, Mitglied im Unterausschuss für Globale Gesundheit, SPD-Fraktion bestätigte die Notwendigkeit der globalen Antibiotikaproduktion. Eine nur nationale, sprich deutsche Produktion für Antibiotika sah er skeptisch. Diese sei mit hohen Kosten verbunden. Deshalb könne die Produktion nur mit anderen Ländern und Märkten und im Schulterschluss mit der Industrie erfolgen. Anreize für die Entwicklung neuer Antibiotika, wie etwa die in der EU derzeit diskutierten Transferable Exclusivity Voucher (TEV), sieht er grundsätzlich positiv.
Interview zu notwendigen Strategien gegen Antimikrobielle Resistenzen mit Sibyll Escher, Mitglied im Deutschen Netzwerk gegen Antimikrobielle Resistenzen (DNAMR), Director Medical Affairs Infectious Disease bei dem Pharmaunternehmen MSD
DNAMR: Welche Rahmenbedingungen braucht die Industrie, um Forschung und Entwicklung von neuen Antibiotika zu verbessern?
Sibyll Escher: Wir benötigen Rahmenbedingungen, die der besonderen Herausforderung der Antibiotika-Forschung und Entwicklung (F&E) und ihrer Vermarktung gerecht werden. Denn die F&E ist kostenintensiv, langwierig und risikoreich. Vor allem aber: Bei Reserveantibiotika, die richtigerweise möglichst selten und restriktiv eingesetzt werden sollen, greift das bisherige Business Modell der forschenden Pharma-Unternehmen nicht. Die Aussicht auf einen Return on Investment ist – vorsichtig ausgedrückt – herausfordernd. Mehrere Unternehmen mussten deshalb bereits Konkurs anmelden! Die bisher am wenigsten ergriffene, aber tatsächlich wichtigste Maßnahme zur Bekämpfung der AMR-Krise ist die Einführung von Marktanreizen (Pull-Mechanismen), die die Privatwirtschaft zurück in die Entwicklung neuer Antibiotika holen bzw. die noch aktiven Unternehmen in dem Bereich halten können. Nicht nur für Innovationen (Forschung und Entwicklung), sondern auch bei Themen wie Zugang (Access) und Lenkung/Überwachung (Stewardship/Surveillance) und gute Herstellungsverfahren (good manufacturing) ist es unabdingbar, die Industrie als Partner mit an Bord zu haben. Wir müssen unsere nationalen Rahmenbedingungen kritisch durchleuchten und eventuelle Hürden abbauen.
DNAMR: Wie kann die Schaffung eines geeigneten Rahmens beschleunigt werden?
Sibyll Escher: Antibiotikaresistenzen sind ein weltweites Problem, das ist unstrittig. Unstrittig ist auch, dass wir ein Umsetzungsproblem, kein Erkenntnisproblem haben. Es gilt jetzt, die richtigen Maßnahmen umzusetzen. Vielleicht sind die vorgeschlagenen Maßnahmen noch nicht perfekt und müssen mit der Zeit evaluiert und weiterentwickelt werden – das darf uns aber nicht davon abhalten, überhaupt tätig zu werden. Wir können es uns nicht leisten, weitere 10, 20, 30 Jahre über Maßnahmen und Rahmenbedingungen zu diskutieren. Aus meiner Sicht ist da vor allem die Politik gefragt und am Zug, tätig zu werden: Auf europäischer Ebene liegen konkrete Vorschläge der EU-Kommission für Marktanreize auf dem Tisch. Die Bundesregierung sollte sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass diese Anreize weiter ausgestaltet und umgesetzt werden. Auf nationaler Ebene müssen Hürden, beispielsweise in der Erstattung von Reserveantibiotika im Krankenhaus abgebaut werden, wo sie fast ausschließlich zum Einsatz kommen.
DNAMR: Welche Maßnahmen in Form von Programmen, Strategien und Marktanreizen müssen ins Leben gerufen werden?
Sibyll Escher: Zunächst ist positiv hervorzuheben, dass Deutschland eines der ersten Länder weltweit war, das eine nationale Antibiotikaresistenzstrategie, die DART, ins Leben gerufen hat und diese mit der DART 2020 und jetzt der DART 2030 fortführt. Das war ein wichtiger Schritt und wichtiges Zeichen. So viel vorweg, aber es bleibt dennoch eine Menge zu tun: Denn in der DART 2030 findet sich keine Antwort auf die Frage, wie die Industrie zurück in die Forschung und Entwicklung geholt werden kann. Es fehlen konkrete Vorschläge für geeignete Marktanreize. Antibiotikaresistenzen machen nicht an Grenzen halt, sondern sind ein globales Problem. Das wissen wir alle. Deswegen brauchen wir dringend auch länderübergreifende Ansätze. Die EU-Kommission hat mit dem Vorschlag der Transferable Exclusivity Vouchers, also übertragbare Exklusivitätsverlängerungen, bei denen der nötige Mehrumsatz bei anderen Medikamenten ermöglicht wird, einen konkreten Vorschlag auf den Tisch gelegt. Der Vorschlag sollte weiter ausgestaltet und schnellstmöglich umgesetzt werden. Bis der neue Marktanreizmechanismus etabliert ist, brauchen wir Brückenfinanzierungen in Form von Investments, Grants, zinslose Darlehen im Rangrücktritt oder Meilensteinzahlungen an kleine und mittlere Unternehmen, damit diese nicht an finanziellen Risiken scheitern. Dies kann durch HERA/European Health Emergency Response Authority, die Europäische Investitionsbank (EIB), das Bundeswirtschaftsministerium, die KfW oder andere Institutionen geschehen. Deutschland könnte dabei eine Vorreiterrolle spielen. Deutschland leistet schon einen guten und international anerkannten Beitrag im Bereich der «Push-Mechanismen», also der Forschungsförderung. Auch die Ernennung einer nationalen Beauftragten für Antimikrobielle Resistenzen nach dem Vorbild von Großbritannien oder Schweden kann dem Anliegen Nachdruck verleihen.
DNAMR: Wer muss in Zukunft bei der Entwicklung neuer Strategien gegen Antibiotikaresistenzen besonders zusammenarbeiten?
Sibyll Escher: Die Corona-Pandemie oder auch der Ebola-Ausbruch haben eindrücklich gezeigt, dass große Herausforderungen – und dazu gehören natürlich auch multiresistente Erreger – nur gemeinsam bewältigt werden können. Wenn Politik, öffentliche Forschung, klinische Versorgung und Pharma-Unternehmen an einem Strang ziehen, können wir viel erreichen. Wir brauchen verlässliche Kooperationen, die langfristig Bestand haben, was nur gelingen kann, wenn die wirtschaftlichen Grundlagen dafür vorhanden sind. Wissenschaft und Industrie müssen gemeinsam agieren, denn die Herausforderung ist für „Einzelkämpfer“ zu groß. Wir brauchen mehr Private-Public-Partnerships und Forschungsallianzen. Auch der Dialog mit der Politik ist wichtig, damit gemeinsam funktionierende Lösungen gefunden werden können. Genau da setzt das DNAMR, ein Zusammenschluss von Wissenschaft, Kliniken, Industrie und Non-Profit Organisationen an: Wir sind zum einem Dialogpartner, zum anderen schaffen wir Plattformen für den Austausch mit allen Beteiligten, um gemeinsam Maßnahmen, die dringend erforderlich sind, auf den Weg zu bringen.
Die Antworten spiegeln die persönliche Meinung von Frau Escher wider