Fehlende Unterstützung der Bundesregierung bei der Entwicklung von Vorschlägen zu Marktanreizen für neue Antibiotika

Kritik an Politik und Regierung vor der Europawahl

Berlin, 20.03.2024 -Bei einer Veranstaltung der deutschen Leitmedien - Zeit, Handelsblatt, Tagesspiegel und Wirtschaftswoche - vor der Europawahl 2024 standen u.a. Fragen zu Gesundheit und Innovationen auf der Agenda. Diskutiert wurde auch zu „Innovationsraum Europa: Gemeinsam gegen antimikrobielle Resistenzen“. Die beteiligten Experten kritisierten Deutschlands mangelnde Initiative: es werden keine politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen, um Unternehmen wieder zur Entwicklung von neuen Antibiotika zu motivieren.

Prof. Dr. Achim Hörauf, Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie am Uniklinikum Bonn, selbst derzeit an der Entwicklung eines antimikrobiellen Wirkstoffs im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung beteiligt, erklärte, dass die WHO Antibiotikaresistenzen mit zu den drei größten Bedrohungen weltweit für die Menschen einstuft. Umso bedenklicher, dass sich derzeit in der Forschungspipeline nur noch etwa 44 Produktkandidaten befänden, an denen geforscht wird. Im Vergleich dazu sind alleine in der Forschungspipeline für Brustkrebs 158 neue Produkte. Kritisch auch, dass es kaum Marktanreize für Pharmaunternehmen gebe, sich an der Forschung zu beteiligen. Angesichts der sich abzeichnenden Katastrophe würden deshalb in dieser Sache, so Professor Hörauf, Wissenschaftler, Unternehmer und Patientenvereinigungen mit einer Stimme sprechen und die Bundesregierung auffordern, endlich zu handeln.

Das Problem ist im Rahmen der G7 und G20 erkannt. Antibiotika sind ein wichtiges Gut für die Menschheit, heilen in der Regel nach wenigen Tagen und sollen gleichzeitig wenig eingesetzt werden. Der schnelle Therapieerfolg und die verantwortungsvolle Nutzung führen zu geringen Einnahmen für Unternehmen, wenn einfach ein niedriger Preis bei niedrigen Volumen gezahlt wird. Deutschland hat hier etwas halbherzig eine Lösung mit dem Status für Reserveantibiotika geschaffen, erlaubt es Krankenhäusern diese aber nicht gesondert abzurechnen. Dabei sollte Deutschland einen Blick auf andere Länder werfen.

In Großbritannien, Kanada und Japan gäbe es Marktanreizmodelle oder es werden gerade aktiv Piloten durchgeführt, bei denen neu zugelassene Antibiotika volumenunabhängig vergütet werden und somit finanzielle Rahmenbedingungen für einen solchen Forschungsweg geschaffen wurden, mit denen die Industrie dann auch planen könne. Auch in den USA gibt es einen konkreten Vorschlag, der aber noch in der Gesetzgebung steckt. In der EU gibt es ebenfalls konkrete Überlegungen dazu, wie z.B. den, im Gegenzug für ein neues Antibiotikum, welches von einer Firma dann für zehn Jahre trotz geringer Verkaufseinnahmen vorgehalten würde, die Patentschutzzeit für ein anderes Medikament um ein Jahr zu verlängern und somit durch ein anderes Produkt die Verluste zu kompensieren. Bedauerlicherweise habe das vorgeschlagene Modell, dass für alle 27 EU-Länder ein Kompromissvorschlag gewesen wäre, vor der Europawahl nicht abschließend diskutiert werden können.

Marc Gitzinger, Vorstand Beam Alliance, CEO und Mitbegründer von BioVersys beschrieb eindringlich die dramatische finanzielle Situation für kleinere und mittlere Unternehmen, wenn diese mit einem Antibiotikum die Phase 3 der Medikamentenentwicklung erreichen. In dieser Phase muss die Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Präparats in streng angelegten Studien mit Probandinnen und Probanden ermittelt werden. Diese Studien bilden den umfangreichsten, kompliziertesten und teuersten Teil des Arzneimittelentwicklungsprozesses.

Normalerweise finanzieren Risikokapitalgeber oder die Pharmaindustrie diese Studien, da bei Erfolg auch entsprechende Einnahmen vom Verkauf des eines Medikamentes ausgehen. Bei Antibiotika stimmt diese Rechnung derzeit nicht. Obwohl Antibiotika sogar zu den Medikamenten gehören, die die besten Chancen haben eine Phase 3 erfolgreich abzuschließen (75% im Vergleich zu Krebsmedikamenten 36%), gibt es kaum Kapital um die Studien durchzuführen, weil der Markt nicht funktioniert.

Gitzinger erläutert, dass auf der einen Seite Patienten mit hochresistent Keimen sterben und auf der anderen Seite niemand für die notwendigen Studien zahlen will, die neue Wirkstoffe ermöglichen würden.  Selbst wenn Unternehmen es schaffen, eine Marktzulassung zu erhalten und ein Produkt auf den Markt zu bringen, laufen sie Gefahr, wirtschaftlich nicht zu überleben, weil ihr Produkt nur in Einzelfällen eingesetzt werden darf – um die Entstehung neuer Resistenzen hinauszuzögern. Seit 2019 sind von sieben KMU neue Antibiotika in den USA zugelassen worden, hierfür wurden 3.6 Milliarden US$ von diesen Firmen ausgeben, drei der KMU sind pleite, die anderen vier verdienen nicht genug Geld, um die Investitionen wieder einzuholen. Die Konsequenz ist, dass diese dringend benötigten neuen Antibiotika den meisten Patienten nicht zur Verfügung stehen. Vor allem in Deutschland würden Regierung und Politik tatenlos zusehen.

Wie Achim Hörauf verwies auch er auf Vorschläge und Marktanreizmodelle für neue Antibiotika, die aber in Deutschland nicht diskutiert würden und auf Vorbehalte der deutschen Regierung stießen, ohne dass Alternativen genannt würden.

Beide Experten traten dafür ein, dass der deutsche Gesundheitsminister endlich dazu in den Dialog gehen sollte. Die Expertinnen und Experten des Deutschen Netzwerks gegen antimikrobielle Resistenzen hätten wiederholt Vorstöße gemacht, die ungehört blieben.

Moderiert wurde die Veranstaltung von Alexandra-Corinna Heeser.

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