Unterstützung aus dem Parlamentarischen Raum

„Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch, wir müssen sie schnellstens umsetzen!“ Parlamentskreis gegen Antimikrobielle Resistenzen (PKAMR) traf sich im September zu seiner ersten Arbeitssitzung

Berlin, 11.09.2024 - Rund 30 politische Entscheidungsträger sowie Expertinnen und Experten aus der Forschung, Klinik und Industrie waren im Deutschen Bundestag zur ersten Arbeitssitzung des Parlamentskreises gegen Antimikrobielle Resistenzen zusammenkommen, um darüber zu diskutieren, wie der Mangel an neuen, resistenzbrechenden Antibiotika behoben werden kann.

Die Vorsitzenden des PKAMR, Dr. Georg Kippels (CDU) und Dr. Franziska Kersten (SPD), leiteten die Diskussion mit dem Hinweis ein, dass das Thema antimikrobielle Resistenzen seit mehreren Legislaturperioden im Bundestag bearbeitet wird. Umso erfreulicher sei es, dass dieser Kreis ins Leben gerufen wurde, um trotz der zahlreichen Facetten und der Komplexität des Themas konkrete Lösungsansätze, insbesondere in Bezug auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, zu besprechen. Dr. Georg Kippels: „Klar ist: Wir brauchen einen nachhaltigen Nachschub neuer Antibiotika. Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch, wir müssen sie schnellstens umsetzen.“ Dr. Franziska Kersten betonte, dass „ein Thema wie Antibiotikaresistenz ressortübergreifende Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik“ benötige. Der Schwerpunkt der Sitzung lag bei der Erörterung von Plänen der Europäischen Union zur Einführung von Marktanreizen, um ein wirtschaftliches Umfeld zu schaffen, das die Entwicklung neuer Antibiotika ermöglicht.

Dr. Marc Gitzinger, Präsident der BEAM Alliance (einem Zusammenschluss europäischer Biotech-Unternehmen, die im Bereich der Forschung zu antimikrobiellen Resistenzen tätig sind) und CEO der BioVersys AG, gab in seinem Vortrag einen umfassenden Überblick. Er betonte, dass die Forschungspipeline für neue Antibiotika nahezu erschöpft sei. Der Grund dafür liege darin, dass immer mehr Pharmaunternehmen die Entwicklung und Produktion von Antibiotika aufgeben. Die herkömmlichen Marktmechanismen greifen bei Antibiotika nicht, da diese aus Vorsicht vor der Entstehung neuer Resistenzen nur sehr begrenzt eingesetzt werden dürfen. Dadurch sind die Verkaufszahlen gering, und die Einnahmen reichen nicht aus, um die Kosten für Entwicklung und Vermarktung zu decken. Aus diesem Grund sei ein neues Marktsystem erforderlich. In der Diskussion stehen Modelle wie das „Netflix-Modell“ und die sogenannten Transferable Exclusivity Vouchers (TEV). Gemeinsam sei beiden Modellen, dass sie die Vergütung der Bereitstellung neuer, resistenzbrechender Antibiotika von deren Verkaufsmengen trennen. Eine wichtige Erkenntnis bei einer Einführung solcher neuen Marktsysteme für Antibiotika ist, dass dabei zwar vordergründig mehr Kosten für das Gesundheitssystem für diese neuen Antibiotika entstehen, aber die Ersparnisse für das Gesundheitssystem durch die heute anfallende Nachsorge bei Patientinnen und Patienten mit hoch resistenten Infektionen bei weitem grösser sind. Dies bedeutet, dass die vorgeschlagenen Lösungen nachhaltig und effizient sind und unter dem Strich sogar Kosten einsparen.

Peter Liese, Mitglied im Europäischen Parlament (Fraktion der Europäischen Volkspartei) erläuterte, dass beide Modelle im sogenannten EU-Pharmapaket – ein Maßnahmenpaket der EU-Kommission zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung der EU-Bürger - diskutiert und vom EU-Parlament befürwortet worden sei. Allerdings müsse diese Vorlage noch vom Rat der EU - dort verhandeln die zuständigen Minister der 27 EU-Mitgliedsländer - angenommen werden. Deutschland als EU-Mitgliedsland lehne die TEV ab, weil ihre finanziellen Folgen möglicherweise schwer absehbar seien. Gegenvorschläge lägen jedoch keine auf dem Tisch. Dabei so Peter Liese MdEP sei dieser Vorschlag, „das Beste, was wir kriegen können“, denn im Gegensatz zum Netflix-Modell, das von allen 27 EU-Länder gemeinsam getragen werden muss, könnten die TEVs ohne die Notwendigkeit, sich auf einen Finanzierungsschlüssel zu einigen, implementiert werden. Peter Liese forderte die anwesenden Abgeordneten auf, Druck auf das zuständige Bundesministerium für Gesundheit zu machen.

Prof. Dr. Rolf Müller, Koordinator Neue Antibiotika, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland, beklagte, dass immer weniger zu Antibiotika geforscht werde. Sein Institut mit rund 270 Mitarbeitern sei zusammen mit den KollegInnen am Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig die größte zusammenhängende Einheit in Deutschland, die sich dieser Aufgabe widmet. Die wenigen verbleibenden Forschungsabteilungen in den Pharmaunternehmen seien wesentlich kleiner. Deshalb komme die Innovation derzeit primär aus der Akademia. Es müsse dringend mehr in die Ausbildung in diesem Sektor investiert werden, um eine essentielle nächste Generation von Wisseschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf diese große Aufgabe vorzubereiten. Darüber hinaus sprach er sich für die oben angesprochenen Marktmechanismen aus: „Ohne die Faktoren, die es der Industrie wieder attraktiv machen, Antibiotika zu entwickeln, kann die Lücke nicht geschlossen werden“.

Dr. Martin Heidecker, Chief Investment Officer des AMR Action Fund wies auf den dringenden Bedarf an weiteren Investitionen für die Entwicklung von neuen Antibiotika hin. Der AMR Action Fund habe das Ziel, bis 2030 zwei bis vier neue antimikrobielle Medikamente auf den Markt zu bringen. Darüber hinaus wolle der Action Fund ein nachhaltiges Ökosystem von Investitionen und Innovationen schaffen, um eine der größten globalen Gesundheitsherausforderungen unserer Generation zu bewältigen. Er sei weitestgehend von forschenden Pharma-Unternehmen finanziert und unterstütze kleine und mittlere Unternehmen dabei, resistenzbrechende Antibiotika zu entwickeln. Wenn diese jedoch keinen Markt finden, sei die Existenz der Unternehmen gefährdet. Dies sei in mehreren Fällen schon geschehen. Dr. Heidecker appellierte an die Politiker, dies nicht mehr zuzulassen.  

Auch Stephan Albani MdB (CDU) plädierte für die TEVs: „Voucher sind berechenbar und verlässlich“. Der Begriff Marktversagen sei Unsinn. Wenn es keine Nachfrage gebe – im Falle der Antibiotika wegen der Bemühungen um die Verzögerung neuer Resistenzen – sei es folgelogisch, dass man entwickelt/produziert um auf unabsehbare Zeit geben gerade nicht zu verkaufen, aber bereit zu halten, für den Fall, dass bestehende Medikamente unwirksam werden. Jeder müsse sich im Klaren sein, dass die Resistenzbildung am Ende kein Fehler im Vorgehen, sondern ein evolutionärer und letztlich unvermeidlicher Prozess sei, den man verzögern, aber nicht verhindern kann. Insofern ist ein Nachschub von neuen Antibiotika erforderlich. Dafür sei es notwendig, die wirtschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen, d.h. den entwickelnden Firmen eine Refinanzierung ihres Aufwandes - entkoppelt von dem ggf. viel später erfolgenden Einsatz - zu ermöglichen.

Petra Sitte MdB (die Linke) wunderte sich, dass innerhalb des Haushaltstitels „Innovation und Lebenswissenschaften“, der 2025 mit 710 Millionen Euro ausgestattet sein soll, immer noch deutlich zu wenig Geld für die Entwicklung von Antibiotika vorgesehen ist. Sie äußerte ferner ihr Unverständnis darüber, dass die jährlich notwendigen ca. 24 Mio. Euro im deutschen Markt für ein neues Antibiotikum als zu teuer angesehen werden."

Nezahat Baradari MdB (SPD) unterstrich die Bedeutung des Themas und lud die Expertinnen und Experten ein, in verschiedenen Gremien wie dem Europaausschuss oder dem Fachforum Industrielle Gesundheitswirtschaft zu diesem Thema zu sprechen. „Das EU-Pharmapaket werde vom Bundeskanzleramt unterstützt und die neuen inländischen Ansiedlungen von Pharmaunternehmen unterstreichen deren durchaus bewusste Bedeutung für Deutschland und die EU.“

Alle Anwesenden waren sich einig, dass dringender Handlungsbedarf bestehe. In Richtung Bundesministerium für Gesundheit wurde Unverständnis darüber geäußert, warum die TEVs abgelehnt würden, ohne dass es tragfähige Alternativen gebe. Dr. Kippels zog das Beispiel „Feuerwehrautos“ als Analogie heran. Diese würden natürlich gekauft und bezahlt werden, auch wenn Sie möglichst nicht in Einsatz gebracht werden sollen. Es bestehe also im eigentlichen Sinne für die Feuerwehrautos auch kein Markt, aber natürlich benötigen wir sie dringend und sie werden, wenn auch zu hohen Kosten, angeschafft. Es dürfe nicht an der falschen Stelle gespart werden. Wirksame Antibiotika seien unverzichtbar als Grundlage für eine Vielzahl medizinischer Maßnahmen. “

Handlungsempfehlungen des Deutschen Netzwerks gegen Antimikrobielle Resistenzen:

  • Die Bundesregierung muss sich für TEE/TEVs in der Pharmagesetzgebung im Europäischen Rat einsetzen und dafür sorgen, dass dieses Instrument durch eine sinnvolle Ausgestaltung wirksam wird.
  • Der Deutsche Bundestag muss dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den klaren Auftrag erteilen, Position zu beziehen und diese im Rat der EU vertreten. Die Bekämpfung von AMR muss in der Gesundheitspolitik Priorität Nr. 1 bekommen!
  • Wenn Deutschland die aktuelle Empfehlung der Kommission nicht unterstützt, muss ein klarer, funktionierender Gegenvorschlag formuliert werden, der einen Zeitplan, die richtige Größe und eine sofortige Umsetzung vorsieht.
  • Die Bundesregierung sollte die Erstattungsregeln für Reserveantibiotika weiterentwickeln: Reserveantibiotika brauchen sofort einen Vergütungsschlüssel im stationären Bereich, analog zu den Antimykotika.

Zurück zur Newsübersicht